Montag, 7. Dezember 2009

Ein Weihnachtsmärchen aus Süd Salatonien - Das besondere Weihnachtsgeschenk

Es war einmal vor vielen Jahren in einem beschaulichen Dörfchen am Rande des Schwanensees, da unterlief dem Magier Vilniuss ein so unglaubliches Missgeschick, dass die Leute noch heute staunend Raunen, wenn man seine Geschichte erzählt. „Was macht der da, Mama?“ fragte ein kleiner Karotenerjunge und deutete aus dem Fenster seines Zimmers auf den Turm, der schon lange vor der Entstehung des Dorfes auf den Wiesen am See stand. In unregelmäßigen Abständen knisterte und knallte es und bunte Farbfontänen sprühten aus den Dachfenstern in alle Richtungen in den Nachthimmel. Ängstlich zogen sich zwei Zimtschnecken in ihre Gehäuse zurück und eine Trampolintulpe suchte hopsend in einem Busch Unterschlupf.

„Geh wieder ins Bett Julius!“ keifte seine Mutter und gehorsam sprang die kleine Karotte auf und schlüpfte unter die Decke. Mit Nachthemd und Kerze in der Hand, schritt sie zum Fenster und beugte sich noch einmal heraus, anstatt die hölzernen Läden gleich zu schließen. Es knallte ein weiteres Mal und blaues Licht floss wie Wasser aus allen Fenstern, ergoss sich über das Feld und versickerte im Erdboden... drei weitere Tage leuchtendes Trinkwasser. Die Frau neigte sich weiter vor und warf einen Blick herab auf das Kopfsteinpflaster, wo eine Stadtwache mit dem Stiefel über den Boden schlurfte. „Solltet ihr nicht etwas gegen dieses Teufelswerk unternehmen?“ Der Wachmann bohrte in aller Seelenruhe in der Nase, wischte das Gefundene an seinem Wams ab und blickte schulterzuckend zum Fenster des Fachwerkhauses hinauf. „Ist doch nur Vilniuss. Der tut keinem was.“ Die Karotenerin schnaubte noch einmal verächtlich und schlug die Läden zu. Brummend rückte der Soldat den Eisenhelm zurecht und widmete sich wieder der Straße.

Unterdessen hustete Vilniuss einen weiteren Schwall Meteoritenstaub in sein Kämmerlein und versuchte sich die Reste des flüssigen Lichts aus dem wallenden Gewand zu schütteln. „Kuscheleichenborke war es also nicht...“ murmelte der zerstreute Magier zu sich selbst und bereitete eine neue Phiole vor. Während Alchemie im technologischen Gurkan belächelt und im religiösen Nabanees verfolgt wurde, genossen die Tränkemischer der unabhängigen Magier e.V. in Karotonien ein recht hohes Ansehen. Vilniuss griff ins Regal und schob ein paar Gläser und Fläschchen bei Seite, bevor er einen von vielen Lederbeuteln ans Mondlicht zerrte. Er sah genau aus, wie die anderen fünf neben ihm. Keiner vermochte zu sagen, wie ein Magier erahnen konnte, was sich tatsächlich darin befand. Doch bei der hohen Anzahl an Unfällen wussten sie das vielleicht auch gar nicht.

Das Glasröhrchen blubberte und schäumte, als die gealterte Erdnuss das klumpige Pulver in die Flüssigkeit bröselte. Behutsam nahm er es zwischen zwei Finger. „Ganz vorsichtig...“ er hielt sich die Phiole dicht vor die Augen und schüttelte sie in sanften Kreisbewegungen. Ein überraschender Knall! „Verdammt!“ fauchte der Zauberer, als ein KnickKnack-Vogel gegen die Scheibe des Dachfensters flog und ihm vor Schreck der Trank aus den Fingern glitt. Eine eher unspektakuläre Rauchwolke entwich dem zerspringenden Gläschen und für einen Augenblick wischte sich Vilnius erleichtert über die Stirn. Vielleicht würde ja diese Mal... zu früh gefreut.

„Kihihi!“ kicherte der Chaosgnom und fegte mit einem einzigen Flügelschlag das halbe Handwerkszeug seines Beschwörers vom Holztisch. Chaosgnome waren nicht gefährlich. Sie brachten lediglich Unordnung dahin, wo sie auftauchten. Aber Unordnung in das Alchemielabor eines Magiers zu bringen, DAS war gefährlich. Während sich das Wesen aus einer anderen Dimension im Labor der Erdnuss austobte, griff diese nach ihrem Besen und versuchte verzweifelt den Eindringling aus dem Dachfenster zu schubsen. Man mag schmunzeln über die Tatsache, dass nicht der verrückte Gnom das entscheidende Missgeschick auslöste, sondern Vilniuss selbst. Bei einem ungünstigen Streich fegte er eine Reihe Zutaten von seinem Regal, die sich auf dem Boden freudig blubbernd, knisternd und quietschend miteinander vermischten. Hierbei vermengten sich schlussendlich auch die kristallisierten Sonnenstrahlen mit dem Glühwürmchenextrakt. Eine ordnungsliebende Forscherin aus Gurkan hätte darüber nur belächelnd den Kopf geschüttelt, diese Ingredienzien nebeneinander im Regal aufzubewahren, doch Erdnüsse waren da... risikofreudiger.

In dem Moment wo Kristalle und Extrakt miteinander reagierten, erzeugten sie einen Lichtblitz, der alles übertraf, was jemals von einer lebenden Kreatur erblickt wurde. Das Licht, das vom Magierturm über ganz Süd Salatonien und bis in den Himmel hinaus strahlte, war so unvorstellbar grell, dass die drei Sonnen selbst für den winzigen Augenblick einer kosmischen Sekunde ihren Blick abwenden mussten. Zeit war jedoch ein trickreicher Geselle und was für eine Sonne nur eine Sekunde war, währte auf der Erde ganze drei Monate. So geschah es also, dass im immerwarmen Süd Salatonien zum ersten Mal seit der großen Zerstoßung der Winter einkehrte und die watteweißen Wolken das ganze Land vor Freude von oben bis unten mit Schnee bedeckten. Was aus dem Magier und seinem Chaosgnom wurde... das war für diese Geschichte nicht mehr wichtig.

Was für diese Geschichte wichtig war, spielte sich viele Kilometer südlich der Zentralreiche im friedlichen Weite Flur ab. Hier stand der kugelrunde Cucurbit Klaus vor der Tür seiner unscheinbaren Holzhütte, ließ den Schnee auf seine ledrige Haut sinken und breitete begrüßend die Arme aus. „Ho Ho Ho!“ Der Kürbis wollte vor Freude lachen, hatte aber den Mund vom Abendessen noch gefüllt und brachte nur Ho's statt Ha's hervor. Die Tür der Hütte öffnete sich erneut und aus dem warmen Licht trat eine Tomate mit Dreitagesbart und schlichtem Schäfermantel neben seinen Mitbewohner. Er richtete seinen Blick in den Himmel, staunte, als hätte er den Schnee gerade erst bemerkt und senkte das Haupt, um lachend den Kopf zu schütteln. „48 Jahre... und ich hab' schon angefangen, dich für verrückt zu halten...“ Der Cucurbit hielt die Hand auf, wartete bis sich einige Schneeflocken darauf gesammelt hatten und ließ sie wieder herabrieseln. „Ich hab' dir gesagt der Tag kommt.“ Niko, der Tomatole, nickte wortlos und schlenderte den Hang des Hügels, auf dem die Hütte stand, zu einem kleinen Schuppen im Tal hinab. „Ich hol' den Schlitten...“ rief er während er durch den schon knietiefen Schnee stapfte.

Klaus genoss den Moment noch für ein paar Atemzüge und schritt durch die offene Tür zurück in seine Hütte. Vom Speisesaal aus führten genau fünf Türen in andere Zimmer. Die vier Türen zu den Schlafkammern von Niko und Klaus, zur Küche und zum Bad wurden wie alle anderen mehr oder weniger regelmäßig benutzt. Die fünfte jedoch wurde so selten geöffnet, dass sich Staub auf der Klinke gesammelt hatte. Doch nun war der Tag da. Der Kürbis öffnete die Tür und trat in die dunkle Kammer dahinter. Der Raum war fast leer bis auf einen Holzschemel in der Ecke und einen Kleiderschrank gegenüber der Tür. Knarrend öffneten sich die alten Schranktüren seit Jahrzehnten zum ersten Mal und gaben ein verstaubtes Kostüm frei. Eine dunkelrote Hose mit weißer Krempe, ein gleichfarbiger Mantel mit weißem Kragen und eine Mütze mit Bommel. Dazu ein künstlicher Rauschebart aus Scharfswolle. Bevor er sich ankleidete, griff Klaus nach einem ungewöhnlich riesigen Bilderbuch, das auf dem Holzschemel lag. Als er es aufschlug, waren die Bilder kaum noch zu erkennen. Man konnte nur raten, doch man lag nicht falsch, wenn man es auf viele tausend Jahre schätzte. Es gab nicht mehr viel her, doch mit etwas Fantasie, konnte man daraus den Mythos eines alten Mannes entziffern, der bei Schnee und Eis in einem Schlitten durch die Welt zog und Geschenke an die braven Kinder verteilte. Heute wurde ein Mythos wiedergeboren.

Niko fühlte sich in seinem grünen Wichtelkostüm scheinbar weniger wohl, als er den Schlitten aus dem Schuppen den Hügel hinaufzerrte, wo Klaus in voller Montur durch ein dickes Buch voller Namen blätterte. Neben den zahmen Scharfen weideten auf den Wiesen vor ihrer Hütte auch neun Reh-ähnliche Krehe. Während Niko versuchte eben diese neun Wesen dazu zu bewegen, sich in den Schlitten spannen zu lassen, zerrte Klaus Sack um Sack aus dem inneren der Hütte und belud damit den geräumigen Mehrtürerschlitten. „Wird das nicht ewig dauern?“ fragte die Tomate und rappelte sich aus dem Schnee wieder auf, als ihm das sechste Kreh eine Kopfnuss verpasst hatte. „Nicht mehr als einen Monat.“ Niko stöhnte und setzte dem sechsten Kreh ein selbstgebasteltes Geweih auf den Kopf. Widerwillig versuchte das Zugtier es abzuschütteln, scheitert jedoch und gab es nach ein paar Minuten wie die anderen auf.

Eine gute Stunde nach Wintereinbruch waren Niko und Klaus zum Aufbruch bereit. Die neun Krehe waren vor den Schlitten gespannt, die Geschenke bereit und der bärtige Cucurbit mehr als motiviert. Der Tomatole öffnete seine Tasche und holte eine kleine Flasche hervor. „Ich brauche nicht zu erwähnen, dass das hier vermutlich nicht funktionieren wird.“ Klaus lachte nur auf. Skeptisch beugte sich der Möchtegernwichtel vor und goss die Ampulle gleichmäßig über die neun Tiere. „Dann hoffen wir mal, dass uns diese Waldweintraube da keinen Hokuspokus verkauft hat.“ murmelte Niko und steckte das leere Fläschchen zurück in den Lederbeutel. Der Kürbis nickte motiviert und ergriff die Zügel. Ein weiteres Wunder brachte die Glaubwürdigkeit Süd Salatoniens ins Wanken, als die neun Krehe den Boden unter den Füßen verloren und hektisch in der Luft strampelten. Sie flogen tatsächlich! Anders als erwartet, tat dies der Schlitten nicht. Die neun Tiere besaßen nicht die Kraft, das Fahrzeug in die Luft zu bringen und so strampelten sie engagiert schwebend über die Wiesen, während der Schlitten eine tiefe Furche ziehend hinterher geschleift wurde.

Glücklicherweise fehlte im Bilderbuch des Kürbisses der Teil, wie der Weihnachtsmann die Häuser betrat. Es wäre ein wahrlich schweres Unterfangen gewesen, wenn der Cucurbit tatsächlich versucht hätte, sich durch die salatonischen Schornsteine zu zwängen. So reisten der Kürbis und die Tomate in ihrem nicht flugfähigen Schlitten Tag für Tag von Haus zu Haus, klopften, sangen Lieder und beschenkten die zahlreichen Kinder der verschiedenen Völker. Sie zogen durch die weiten Wiesen von Nabanees und häuften ganze Geschenkberge vor den großen Kirchen der Bananen auf, hinterließen ein paar Rüstungsteile bei den tapferen Kokosnussrittern vom Schwanensee, schenkten jedem Einwohner Tomatoliens in ihrem Sinne das gleiche Geschenk und brachten sogar technische Spielereien zu den Gurkanern in ihrer riesigen Großstadt. Als Letztes besuchten sie noch Karotonien. Vilniuss schmunzelte über beide rußverschmierten Wangen, als er das Geschenkpaket mit einem brandneuen Satz Reagenzgläsern öffnete.

Nach schweißtreibenden 24 Tagen hatten Niko und Klaus auch die letzte Frucht in den Zentralreichen beschenkt und kehrten müde aber glücklich ins heimische Weite Flur zurück. Die Krehe flogen vergnügt von dannen, als der Wichtel ihr Zaumzeug löste und mit schweren Schritten torkelte der Cucurbit in die warme Hütte. Ächzend sackte er in seinem Sessel zusammen und ließ seinen Blick über den Esstisch wandern, der immer noch so gedeckt war, wie vor 24 Tagen. Auf dem Tisch stand eine Flasche köstlicher Rotwein. Noch ungeöffnet. Klaus wartete bis sein Helfer in die Hütte stapfte, die Holztür hinter sich schloss und im Sessel neben ihm seufzend platz nahm. Grinsend reichte ihm der kugelige Kürbis ein Gläschen und füllte es mit Wein. Während Klaus das Glas vor sich schwenkte und den rötlichen Inhalt betrachtete, dachte er an die Ereignisse der letzten 24 Tage und freute sich darüber, den Einwohnern Süd Salatoniens eine Freude gemacht zu haben. Da hatte er es sich verdient, die harte Arbeit mit einem Gläschen Wein abzuschließen... oder zwei... in dieser besinnlichen Weinnacht.

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