Montag, 7. Dezember 2009

Kapitel 2

Kapitel 2


[...]„Willkommen kleiner Freund. Das letzte Mal, dass ein Besucher in dieser Halle war, ist schon seeeehr lange her. Komm doch etwas näher und lass dich betrachten.“ Mit ihrem üblichen hoppelnden Gang, jedoch deutlich ehrfürchtiger, bewegt sich die, in der riesigen Halle nahezu verschwindend klein erscheinende, Kreatur den restlichen Weg in die Mitte des Saals und bekommt nun endlich die Gelegenheit dieses Wesen uralter Zeit aus der Nähe zu betrachten. Eingelassen in einen prunkvoll verzierten Rahmen dessen Herkunft und Material kein denkendes Wesen nur erahnen konnte, thront ein imposanter Spiegel im Mittelpunkt des Trübsaals. Das Glas der Scheibe ist trüb und wirkt wie ein Fenster in einen unbekannten von Nebel verhüllten Raum jenseits der bekannten Welt. An sich ließe sich an diesem Spiegel nichts Lebendiges erkennen, würde nicht diese ruhige und klar artikulierte Stimme hinter dem Glas mit der kleinen Eule sprechen. „Ich bin der Spiegel der Wahrheit, Artefakt aus uralter Zeit. Ich war da, als die Welt entstand und sah, wie sie wurde, bis mir das mächtige Götterbeben die Sicht für viele Jahrhunderte nahm und der Trübsaal meine neue Heimat wurde. Mit wem habe ich die Ehre kleiner Freund?“


Schiel zögert mit ihrer Antwort, da sie in tiefster Ehrfurcht erstarrt ist. Erst nach und nach beginnt sich der Schnabel der Kampfnickeule zu lösen und die ersten Worte hervorzubringen: „Mein Name ist Schiel, Erzählerkauz vom Stamm der Kampfnickeulen. Ich habe eine lange Reise hinter mir und suche Euch, oh ehrwürdiges Wesen auf, da Ihr nun die einzige Rettung für Süd Salatonien seid.“ Ein grübelndes Grummeln ertönte aus dem Nebel und lässt die Säulen des Trübsaals dumpf vibrieren. „Ja... Ich spüre große Dinge da draußen. Doch mein Blick ist getrübt. Ich kann alles zeigen was war, ist und wird... doch ich sehe nichts. Ich bekomme hier wie gesagt nicht oft Besuch also, was möchtest du wissen?“ Vorsichtig kommt der kleine Federball noch ein Stück näher an seinen imposanten Gesprächspartner heran und versucht in den undurchdringlichen Nebel zu blicken. [...]


In den Wolken hinter dem Spiegelglas zeichnet sich schemenhaft ein gastfreundliches Lächeln ab und weicht schimmernd einer schleierhaften Hand, welche die Kampfnickeule mit einer darbietenden Geste bittet, näher zu kommen. „Sprich frei und sprich wahr kleiner Freund. [...]. Warum genau suchst du mich auf?“ Schiel, die über die fesselnden Ausführungen des Spiegels für eine Weile ihren Beweggrund und dessen Dringlichkeit aus den Augen verloren hat, wird spontan zurück in die Gegenwart gerissen und beginnt nach mehrfachem nervösem Räuspern eine kleine Rede. Diese hatte sie schon seit einem guten Dutzend Flugstunden für diesen Anlass vorbereitet: „Wertes Artefakt vergessener Jahrtausende. Mein Name ist Schiel, Erzählerkauz vom Volk der Kampfnickeulen und ich bin hier, um euch demütig darum zu bitten, mir den Blick in die Zukunft zu gewähren.“ Der Spiegel lacht auf und seufzt zugleich. Dann zeichnet sich erneut der Umriss eines Gesichtes im schleierhaften Nebel ab, dass betrübt mit dem Kopf schüttelt. „Es tut mir leid kleiner Freund. Die Zukunft zu kennen ist ebenso ein Segen wie ein Fluch. Wer die Zukunft kennt, der kann sie verändern... der wird sie verändern. Und es ist nicht im Sinne des Schicksals, dass die Sterblichen in seine Geschicke eingreifen.“ Nervös trippelt die Federkugel auf der Stelle herum und wartet nur darauf, dass das Artefakt endlich ausspricht. „Ich bitte erneut um Verzeihung“ wirft sie mit angespannt zitternder Stimme ein „aber genau darum geht es... ich muss die Zukunft verändern, um das Schicksal, die Götter und ganz Süd Salatonien zu retten.“ Der Spiegel zieht hinter dem Schleier eine imaginäre Augenbraue nach oben. „Die Geschichte deiner Reise führt darauf hinaus, dass nur dein Blick in die Zukunft die Welt retten kann?“ Schiel fühlt sich verstanden und nickt eifrig. Für einen Augenblick brummt der Spiegel mit einer Mischung aus Interesse und Nachdenklichkeit. „Ihr Erzählerkäuze seid meisterhafte Geschichtenerzähler, richtig?“ Die Kampfnickeule versteht nicht so recht die Bedeutung dieser Frage, nickt aber dennoch selbstbewusst. „Ich mache dir einen Vorschlag. Erzähl mir deine Geschichte vom Beginn deiner Reise bis zu deiner Ankunft. Wenn ich erkennen kann, dass deine Rolle in dieser Welt wirklich so bedeutsam ist, werde ich dir deinen Wunsch gewähren.“ Schiel verschränkt die Flügel und legt mit einem herausfordernden Knacken den Kopf schief. Noch zwei Tage... das war zu schaffen. „Wenn das so ist, wäre es mir eine Ehre.“

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