Montag, 7. Dezember 2009

Süd Salatonien - Leseprobe (Kapitel 1 - 4)

Akt I (Rohfassung)
Kapitel 1


„Wieselflink huscht eine unscheinbare Gestalt durch die fetzenartige Wolkendecke und flattert dabei wie verrückt mit den deutlich zu kurz geratenen Stummelflügeln. Der kugelrunde Körper ist mit einem dichten Federkleid bedeckt aus dem nur der gelbe Schnabel und die riesigen runden Glubschaugen herausgucken. Bei genauerer Betrachtung erkennt man, dass es sich bei der sonderbaren Figur im Mittelpunkt unserer Geschichte um Schiel vom Volk der Kampfnickeulen handelt. Der Name vermag in die Irre zu führen, hat sie doch nur ansatzweise etwas mit einer Eule gemeinsam. Ihr Körper ist mit dem Kopf zu einer Kugel verschmolzen aus dem die typischen Vogelbeine gucken. Dies macht sie zum Kämpfen zu dick und zum Nicken zu plump. Der Kurs des aufgeweckten Wesens ist nicht klar zu erkennen, denn sie rast über den Schwanensee und die prächtigen Großreiche im Zentralland hinweg, gleitet über die kargen Ödlande und streift bei ihrer rasanten Reise über die Wüstenregion von Wasweißich knapp den Schnackerwald.



Noch ehe sie die vom Krieg gebeutelten Appellien im Süden erreicht, stoppt Schiel mitten im Flug abrupt ab, harrt unabhängig von den Gesetzen der Schwerkraft in der Luft aus und schmettert dann im rechten Winkel zu ihrer Flugbahn Richtung Erdboden. Wie ein Stein saust das Federvieh immer schneller dem sicheren Tod entgegen und beginnt erst wenige Meter, bevor sie ungehindert als unbedeutender Fleck auf den Wiesen der Weiten Flur in diese Geschichte eingeht, wieder mit den Flügeln zu schlagen. Einem Flummi gleich ditscht sie im saftigen Gras auf, verändert dabei kurzzeitig ihre Form zu einem platten Fladen, um wenige Momente später wieder nach oben zu federn. Mit jedem Aufprall verringert sich ihre Sprunghöhe ein wenig, bis sie schlussendlich auf den kurzen Beinen zum stehen kommt und nach einer raschen Phase des Ausvibrierens regungslos im Gras steht.


„Dann mal Ratz Fatz an die Arbeit!“ Befiehlt sich die merkwürdige Federkugel selbst und beginnt sich mit hüpfenden Bewegungen grazil durch das Gras zu arbeiten. Nach ein paar Sprüngen bleibt sie auf der Stelle stehen, dreht ihren Kopf um 90° Richtung Boden und geht in die Knie bis ihr Schnabel diesen erreicht. Während es ein Huhn beim Aufpicken von Körnern wesentlich leichter hat, ist dies die kreative Anpassung der Kampfnickeulen an ihren benachteiligten Körperbau. Sicher kein Vorteil der Evolution, doch die Gesetze der natürlichen Entwicklung gelten nicht für Süd Salatonien... nicht mehr. Nach diesem Muster durchkämmt Schiel systematisch die riesige Wiese um ihren Landeplatz.


Umrisse eines Schattens zeichnen sich auf dem Boden ab, als sich eine seltsame Gestalt aus der gleichbleibend schleierartigen Wolkendecke wühlt und majestätisch näher an die durchweg beschäftigte Kampfnickeule herangleitet. Ein nerviges Krächzen stört die himmlische Ruhe und erweckt kurzzeitig die Aufmerksamkeit des Suchenden, ohne dass dieser seine Arbeit zu unterbrechen wagt. Ein ca. 1,20 menschliche Meter großer Vogel setzt direkt neben der wesentlich kleineren Eule auf und rückt mit dem Flügel den etwas zu groß geratenen Zylinder mit rotem Streifen zurecht. Rotschleifen Schjchu Schjchus leben eigentlich vorwiegend im Nordosten, doch treiben sie Geschäftsreisen von Zeit zu Zeit in ferne Lande. Wie jeder seiner Art trägt er den wohl gepflegten schwarzen Frack mit weißem Hemd und einer schwarzen Fliege. Sein Gefieder ist königsblau, die Füße gelb und ebenso der Schnabel. Die gefiederten Giganten verteidigen seit Jahrhunderten in der Welt ihren Ruf als kompetente Hotelfachvögel und werden von allen Zivilisationen – Citorras und Cucurbiten aus gutem Grunde ausgenommen – vielerorts gelobt.


„Suchen Sie etwas bestimmtes? Ich wäre gerne bereit zu helfen.“ Fragt der Schjchu Schjchu und hüpft Schiel mit einer gewissen Anhänglichkeit hinterher. Die Kampfnickeule schüttelt wortlos den Kopf und sucht mit äußerster Präzision weiter. „Sie sind eine dieser Kampfnickeulen, nicht wahr?“ Die Betonung des Wortes „Kampfnickeule“ geht dem Vogel so beschwerlich über den Schnabel, dass nicht zu erkennen ist, ob diesem das Wort schlicht nicht geläufig ist, oder das betonen der einzelnen Silben tatsächlich eine gewisse Abfälligkeit in sich trägt. „Bin ich. Und beschäftigt bin ich auch.“ Grummelt der kleine Federball genervt und versucht mit zickzackartigen Hüpfbewegungen den Störenfried abzuwimmeln. Ungehindert pickt sie wieder und wieder mit dem Schnabel in den leicht feuchten Untergrund. Sie versucht dem Geschäftsvogel nicht in die Augen zu blicken, saß man nach so einem Gespräch doch im Handumdrehen mit drei unbezahlbaren Immobilienverträgen da. „Ich sah euch gerade und habe mich gefragt, ob es stimmt, was man über euer Völkchen sagt.“ Keine Antwort folgt von der kleinen Gestalt. Ein Fehler. Verleitet es doch den neugierigen Besucher zum Ausprobieren. „Zeigt doch mal!“ Schlagartig weiten sich panisch die Augen der Eule und mit unartikulierten Lauten versucht sie das Schlimmste zu vermeiden... zu spät. Mit seinem spitzen Schnabel pufft der blaue Vogel der überraschten Eule in die Seite. Ein Pusten, ein schrilles Pfeifen, aufs dreifache bläht sich der pummelige Eulenkörper auf - dann ein Knall. Eine peinliche Stille herrscht auf der Wiese während ein laues Lüftchen über die zarten Halme hinweg streicht. Im Umkreis von einigen Metern regnet es zahlreiche Eulenfedern und ein entblößter, pummliger Körper bleibt zurück. Verdutzt steht der Rotschleifen Schjchu Schjchu vor der kleinen Eule und schaut regungslos auf sein Werk. Schiels Ausdruck selbst ist wie versteinert und ihre Augen blicken mit einer Mischung aus Entsetzen, Scham, Wut und Depression in die Ferne. „Oh... eh... so spät schon? Wie die Zeit doch vergeht. Die Arbeit ruft! Lebt wohl und... viel Erfolg.“ Schon erhebt sich der Hotelfachvogel mit wenigen Flügelschlägen in die Lüfte, um so schnell wie möglich außer Sichtweite seines Opfers zu gelangen.


In raschem Tempo versinkt auch die dritte Sonne Süd Salatoniens hinter dem Horizont und noch immer steht Schiel gleichgültig und genervt, völlig ohne Bewegung auf weitem Feld und harrt aus. Nach nicht einmal 10 Minuten ist das Federkleid der Kampfnickeule fast vollständig nachgewachsen und als auch die letzte nackte Stelle bedeckt ist, beginnt sich das Knäuel wieder zu rühren und seine Suche fortzusetzen. Nicht, weil sie nicht früher gewollt hätte, sie konnte nicht. Ein klarer biologischer Nachteil. Auf einmal erklingt ein gellender Schrei. „Bei den taufrischen Wiesen hinter den Spitzbergen, da ist ES!“ Wild hüpft Schiel enthusiastisch im Kreis, wobei sich der obere Teil ihres Kopfes, der Teil, der die Augen trägt, nicht rührt. Dadurch beginnt sich der Körper der Eule langsam wie ein nasses Handtuch aufzuzwirbeln. Nach mehreren Umdrehungen halten die Füße still und blitzartig dreht sich der Kopf in die Ausgangsposition zurück. Erneut sticht der kleine Schnabel Schiels in den Erdboden und kommt wenig später mit einem roten Faden wieder zum Vorschein. Freudig auf- und abhüpfend verfolgt sie die Schnur über die halbe Wiese bis diese schlussendlich an einer Stelle im Erdboden verschwindet. Der Faden scheint hier an einer Art Eisenring befestigt zu sein. Flink schnappt sich der Schnabel der Kampfnickeule den Ring und beginnt mit aller Kraft daran zu zerren, bis eine Art Stöpsel aus dem Boden herausrutscht. Der darunterliegende Gang ist nicht einmal eine menschliche Faust breit und eigentlich viel zu dünn für den kugeligen Eulenkörper. Nichts desto Trotz flattert Schiel ein Stück in die Höhe, hält die Luft an und saust in die schmale Öffnung. Wild strampelnd beginnt sie sich durch den Tunnel zu zwängen und ihren flexiblen Körper nach allen Regeln der Kunst zu verformen.


Mit dem Geräusch eines frisch entkorkten Weines flutscht der sonderbare Vogel auf der anderen Seite in die geräumige Eingangshöhle eines größeren, unterirdischen Komplexes. Als sich die Augen des in der Regel nacht-aktiven Tieres an die Dunkelheit gewöhnen, taucht aus den Schatten der Unterwelt die Festung der Einsamkeit auf und erstreckt sich vor dem kleinen Federball in ihrer beeindruckenden Trostlosigkeit. Zu selten schaffte es ein Wesen diesen verborgenen Ort zu finden. So selten, dass dies zu einer Einsamkeit führte, die nur einen von vielen guten Gründen für die Trauer und Depression der Bewohner dieses unterirdischen Reiches liefert. Schon jetzt dringen deutlich die wehklagenden Schreie und das jammernde Gewimmer der Potatori an die Ohren der Kampfnickeule. Kaum zu glauben wie ein ganzes Volk ihre gesamte Existenz der Trauer verschreiben kann, denkt sich Schiel als sie an tropfenden Stalaktiten vorbei durch die Unterwelt flattert.


Unweit des kleinen Loches, durch das sie gekommen war, stehen zwei Potatori, deren Gestalt unweigerlich den Vergleich mit Kartoffeln anbietet und die, dies sei im Vertrauen gesagt, angeblich auch so schmecken, und blicken auf den immer schmaler werdenden Schein des Lichtes, der durch den sich schließenden Tunnel dringt. „Dieses Dasein, diese Schmach! Erlöse mich oh heiliger Schein! Erlöse mich!“ Schreit die Eine vor Verzweiflung in die ewige Nacht hinaus und rennt auf den Lichtstrahl zu. „Nicht! Dich erwartet das Schicksal der Gebrannten!“, Ertönt noch der verzweifelte Versuch der zweiten hinterher. Doch ihre Warnung bleibt unbeachtet, als sich die erste mit einem Satz in die glänzende Sonne wirft. Schon zeigen sich die Konsequenzen ihres unüberlegten Handelns. Beim Kontakt mit den grellen Strahlen verpufft die Kartoffel ohne Umwege in einem qualvollen Schrei zu einer stinkenden Aschewolke. Der andere Potatoru sinkt wie der Rest der Anwesenden in ihre kniende Ausgangsposition zu Boden und widmet sich erneut ihrem Gejammer, mit welchem sie in den Chor der Wehleidigen einstimmt. Unbeeindruckt, doch mit unbehaglichem Bauchgefühl passiert Schiel währenddessen die Tore der Festung.



Selbst die riesigen Pforten scheinen ein klagendes Gewimmer von sich zu geben, als sie Schiel den Weg in das Innere der finsteren Hallen eröffnen. Nur die Flügelschläge der Kampfnickeule erfüllen die gewundenen und verschachtelten Gänge mit Klang, in denen sich kaum ein Wesen befindet und erst recht keines spricht oder gar singt. Die Architektur des Gebäudes selbst scheint die Manifestation der Trauer darzustellen. Klagende Seelen und Bilder leidender Stammesbrüder zieren die solide verarbeiteten Wände und tränenförmige Gebilde aus Stein hängen aus der Decke in die gähnende Leere hinab. Die Feuchtigkeit der weit verzweigten Tunnel sammelt sich an diesen und tropft die Steinformationen hinab, so dass es beinahe den Anschein macht, die Festung selbst würde über ihr frustrierendes Dasein weinen. Unbehagen erfüllt den kleinen Federball, dessen Größe hier noch unscheinbarer wirkt und für einen Augenblick erwägt sie, doch noch den Rückzug anzutreten. Doch die Ereignisse drängen, denn Süd Salatonien sieht sich der größten Bedrohung aller Zeiten gegenüber und nur in den verborgenen Tiefen dieser Festung konnte noch Rat gefunden werden. So schluckt das puschelige Wesen mutig seine Ängste und Zweifel unter einem hörbaren Glucksen herunter und flattert wacker durch die Finsternis.


Die Gänge zeigen langsam aber sicher ein Ziel an und zwischen zahlreichen Säulen zeichnet sich in der Ferne andeutungsweise ein schwacher Schimmer ab. Zielstrebig saust Schiel durch die Stille dem Lichte nach. Zwar nimmt das zaghafte Scheinen mehr und mehr zu, doch lässt die Dunkelheit es von weitem deutlich größer erscheinen, als es tatsächlich ist. Zweifelsfrei ist die Quelle dieses Schimmerns nur ein sehr schwaches Licht, wirkt aber im Vergleich zur absoluten Finsternis um es herum wie eine kleine Sonne. Die finsteren Tunnel weiten sich und auf gähnende Leere folgt... weitere gähnende Leere. Den ausufernden Gängen folgend schließt sich eine Halle scheinbarer, vielleicht auch tatsächlich unendlicher Größe an. Augenblicke lang hält Schiel inne und zeigt sich von dem ihr dargebotenen Phänomen so beeindruckt wie erschrocken. Die Luft ist so angereichert mit Feuchtigkeit, dass es unentwegt mitten im Saal regnet. Während die Tunnel mit ihren hin und wieder herabfallenden Tropfen einen bedrückenden, vielleicht auch schwermütigen Eindruck hinterlassen hatten, erfüllt einen diese Halle zweifelsohne mit reiner und tiefster Depression. Nicht zuletzt im Anbetracht der Gewissheit, dass die tränengleichen Regengüsse niemals versiegen. Die Bilder von Leid und Elend, die die Gänge verunstaltet hatten, setzen sich in erstaunlicher Vielfalt an den unzähligen Säulen um die Halle herum fort. Ebenso zeigen sie sich auf dem verzierten Untergrund. Jeglicher Zweifel in Schiels Gedanken ist verflogen. Nun scheint es eindeutig: Dies ist der legendäre Trübsaal in der Festung der Einsamkeit, Zentrum der Stadt der Trauer.


Inmitten dieses Ortes der Hoffnungslosigkeit jedoch scheint das winzige Licht, dessen Schein noch weit in die Gänge der Festung hinein reicht. Ein Licht, das beim Näherkommen nur von einer einzigen, winzigen Kerze ausgeht, die auf einem flachen, silbernen Teller mitten in der Halle steht. Diese Kerze ist jedoch nicht der eigentliche Blickfang des Trübsaals, sondern ein riesiger, imposanter Spiegel, der so unantastbar und majestätisch wie man es von Königen kennt inmitten des Saales thront. Doch nicht die Umgebung spiegelt sich in diesem wieder, sondern farbenprächtige Bilder: Bilder aus der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft, begleitet von einer donnernden, gewaltigen Stimme:

2 Kommentare:

Marty hat gesagt…

Eigentlich eine lustige Idee. Erinnert mich an die Pixar Kurzfilme. Du beschreibst sehr viel mit "blumigen" Adjektiven. Muss das sein? Es nimmt mir viel meiner eigenen Fantasie vorweg, bzw. bremst mich etwas beim Lesen, da meine Vorstellung immer hinter den Worten herhasten muss. Ist aber nur meine bescheidene Meinung. Nix für ungut.

Wünsche Dir viel Erfolg!

Tobi hat gesagt…

Liest sich sehr schön aber ich muss Marty Recht geben, vll ein wenig zu viel blumige Adjektive, aber das kenn ich ja von dir. ;)
Ansonsten gefällt mir das, was ich da sehe sehr gut!

Viele Grüße vom alten WoG-Kollegen Pherox! ;)